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RÄUME 2: EURASIA
Einleitung zur Ausstellung von Kay Heymer (Stiftung Museum Kunstpalast, Düsseldorf)
TZR Galerie Kai Brückner. 20.4. - 2.6.2012

Der Gegensatz zwischen dem deutschen Bildhauer und Aktionskünstler Joseph Beuys und dem französischen Künstler Pascal Dombis könnte kaum größer sein. Hier ein schamanistischer Manipulator verschiedenster Materialien und dort ein philosophischer Geist, dessen Ausgangsmaterial Sprache und Schrift ist. Pascal Dombis greift mit dem Begriff „Eurasia“ einen Themenkomplex auf, der für Joseph Beuys von zentraler Bedeutung war und den er durch Aktionen und Objekte verschiedentlich symbolisch verdichtete und kommentierte. Die zentralen Arbeiten von Beuys zu diesem Thema sind die Aktionen „Eurasia“ (erste Aufführung am 14. – 16. Oktober 1966, Galerie 101, Gruppe Handwangen, Kopenhagen, zusammen mit „34. Satz der Sibirischen Symphonie“, als Einleitung die „Kreuzesteilung“) und „Eurasienstab 82min. fluxorum organum“ mit Henning Christiansen (10. Februar – 5. März 1967, Galerie Nächst St. Stephan, Wien) bzw. ihre leicht abgewandelte Wiederholung in der Wide White Space Gallery, Antwerpen, Februar 1968. Zentrales Objekt dieser Aktionen war ein Eurasienstab aus massivem Kupfer, etwa 3 Meter lang und an seinem Ende in einer Kurve zurückgebogen, den Beuys in einem Imaginären Raum bewegte, der durch vier Filzwinkel markiert war, die genau der Raumhöhe entsprachen. In der Monographie von Götz Adriani, Winfried Konnertz und Karin Thomas heißt es zusammenfassend: „’Eurasia’ bedeutet für Beuys die Auflösung von Polaritäten und Zwiespälten. In einer Art Arkadien oder Orplid verflüchtigen sich die Gegensätze, ‚Eurasia’ ist sein Synonym für Ausgewogenheit, Einheit, Umfassung allen Lebens. In der Aktion gibt Beuys mit der Kreuzesteilung den Hinweis auf den historischen, ‚im Grunde unorganischen Prozeß des Auseinanderdividierens der Völker’, der in der endgültigen Teilung des römischen Reiches begründet war und jetzt wieder aufgehoben werden soll. Aus diesem Grund vervollständigt er im Diagramm zu ‚The Division of the Cross’ durch eine punktierte Linie das geteilte Kreuz und gibt ihm seine ursprüngliche Form, sein Wesen wieder: er revidiert den historischen Prozeß. Darüber hinaus zielt Beuys mit dieser Metapher auf die grundsätzliche Ost-West-Polarität und auf deren Aufhebung. Der Gegensatz zwischen dem rationalen ‚Westmenschen’ und dem mehr in lebensphilosophischen Kategorien denkenden ‚Ostmenschen’ soll um einer größeren Einheit willen durch gegenseitige Durchdringung überwunden werden.“1 Dieser philosophische Gehalt manifestiert sich im Werk von Joseph Beuys durch symbolträchtige Handlungen und spirituell wie inhaltlich aufgeladene Materialien wie Filz, Fett, Kupfer, Kohle, Öl, Papier, aber auch Schrift, Handlungen und Gesten, denen durch die Einwirkung des Künstlers eine archaische Kraft zuwächst.

Pascal Dombis setzt sich fast 50 Jahre später mit demselben Thema völlig anders auseinander. Die Bodenarbeit in der TZR Galerie Kai Brückner mit dem Titel „Eurasia“ besteht aus meist sehr langen Textzeilen verschiedener Schriftgrößen, die rechtwinklig gegeneinander gesetzt sind und insgesamt ein wolkenförmiges Feld markieren. Der Text, basierend auf Materialien der Seminare, die Beuys Ende der 1960er Jahre an der Düsseldorfer Kunstakademie durchgeführt hatte, ist bei Dombis nicht im sinne einer kontinuierlichen, linearen Erzählung oder Abhandlung zu lesen, sondern wird zum Rohmaterial einer organischen Form, die gleichsam ein Bild der Erstreckung des eurasischen Kontinents entwirft. Lesbar sind einzelne Gedanken, Ideen oder Fragmente davon, vom Künstler wird dabei keine Ordnung vorgegeben.

Der Betrachter wird seine eigene Struktur erarbeiten müssen, wobei sich in jedem Fall Aspekte formaler und inhaltlicher Wahrnehmung vermischen, der zentrale Gedanke der Opposition zwischen „westlichen“ und „östlichen“ Prinzipien und ihre eventuell möglich erscheinende Vereinbarung in jedem Fall hervortritt. Der rechte Winkel und das Kreuz kristallisieren sich in der Anschauung als Hauptmotive heraus. War das halbierte Kreuz bei Beuys noch ein vom Künstler exakt vorgegebenes, bildhaftes Symbol, so ist das Kreuz bei Dombis flüchtiger, erscheinungshafter, wirkt aber dadurch nachhaltiger, dass es von Betrachter selbst gedanklich neu konstruiert werden muss. Die Arbeit mit der Form, wie sie Dombis als Folge seines Umganges mit Sprachfragmenten vor Augen stellt, hat im materiellen Sinne einen ephemeren Charakter und ist physisch kaum fassbar. Seine Wandbilder machen das besonders deutlich. Wenn in seiner Arbeit „Eurasia_Explosion“ die westliche Kreuzform auf das chinesische Ya trifft, ergibt sich eine Demonstration der Annäherung und dynamischen Durchdringung beider Kreuzzeichen, die in ihrer Wirkung offen bleibt und keine festlegende Wertung vornimmt. Wie viele seiner anderen Bilder ist „Eurasia_Explosion“ eine Collage, die im technischen Verfahren des lenticular print hergestellt wurde, das je nach Blickpunkt des Betrachters verschiedene Bilder generieren kann und eine dreidimensionale, ständig changierende Wirkung erzeugt, die es verhindert, eine Form als abgeschlossen und endgültig wahrzunehmen. Die Arbeiten von Pascal Dombis entziehen sich so genauer Festlegung und faszinieren gerade deswegen.

Eine entscheidende Quelle unserer Wahrnehmung und Information über die widersprüchliche Welt ist das Internet, und Dombis nutzt es wie nur wenige andere Künstler in einer Art und Weise für seine Werke, die Qualität und Dilemma dieses Mediums gleichzeitig veranschaulichen. Die beiden 2-teiligen Bilder „Google_EuroeAsia_RBKW“ und „Google_EuropeAsia_KW“ sind digitale Collagen aus Ergebnissen der Google-Bildersuchen zu den Begriffen Rot, Blau, Schwarz und Weiß. Die Bildhälften stellen jeweils die Ergebnisse von Suchbefehlen auf asiatischen und europäischen Google-Seiten gegenüber. Einerseits Google .it, .de. .fr oder .nl. andererseits Google .ru, .kr oder .cn. Mit Hilfe eines Zufallsalgorhythmus werden die aus dem Internet gewonnenen Motive miteinander collagiert. Ergebnis sind sowohl zusammenhängende Strukturen, die beide Bildhälften, Ost und West, miteinander verbinden, aber auch deutliche Unterschiede in den Motiven deutlich werden lassen, die eine klare Unterscheidung beider Seiten in den Vordergrund rücken. Das, was die momentane Ansicht bestimmt, ist erneut vom Standort und den Bewegungen des Betrachters vor der Arbeit abhängig. So, wie die Menge der Informationen in der Cloud nur für einen Moment zu fixieren ist und sich je nach Zugriff immer wieder anders darstellt, bietet sich auch in diesen Arbeiten ein extrem labiles, ständig in Veränderung begriffenes Bild aus scheinbar unendlich vielen Informationen dar.

Es ergibt sich in diesen Werken eine Wahrnehmung, die schillernd und glänzend einen großen Mangel unserer Zeit überspielt – den Verlust an Konzentrationsfähigkeit auf ein einzelnes Phänomen. Die flüchtigen Bilder von Pascal Dombis verweisen in unnachahmlicher Weise auf dieses Defizit unserer Kultur, dessen Gefahren sich allmählich gesellschaftlich auszuwirken beginnen – die Fähigkeit zur Erfassung und Analyse komplexerer Phänomene schwindet bei vielen Menschen ebenso wie das Urteilsvermögen („alles ist gleich interessant oder gleich langweilig“ – ein Grund für die zunehmende Skandalisierung unseres Gesellschaftslebens in den Medien) und die Genauigkeit in der Bearbeitung von Einzelheiten. Wir verlassen uns zu leicht auf maschinelle Herstellungsprozesse.

Die Kunst von Pascal Dombis ist geeignet, gerade hier unsere Aufmerksamkeit zu steigern und auf die Notwendigkeit der Entwicklung eben dieser kulturellen Fähigkeit zu Konzentration und Genauigkeit hinzuweisen – eine Frage, die genauso grundlegend ist wie das Bekenntnis zum globalen Kultur-, Waren- und Informationsaustausch. Indem Pascal Dombis fünfzig Jahre nach Joseph Beuys den Schwerpunkt von den mystisch aufgeladenen, archaischen Materialien auf die Information selbst legt – vermittelt durch eine fast immateriell wirkende, permament changierende Schrift –, erweitert er den Beuys’schen Kunstbegriff um eine virtuelle Dimension.

(Kay Heymer)
1 Götz Adriani, Winfried Konnertz, Karin Thomas, Joseph Beuys. Leben und Werk, Köln 1986 (3. Aufl.), S. 165f.
TZR Galerie Kai Brückner