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Kunst als Werkzeug und Kritik der Wahrnehmung. Katalogtext zur Ausstellung »Gegenüber - An der Wand/Auf dem Boden - Klasse Johannes Brus«. Von Rasmus Kleine, Marcel Settner und Lars Stamm

Mauck untersucht verschiedene Formen konditionierter Wahrnehmung. Die Installation Projektion Kegel ist zweiteilig aufgebaut: Ein Diaprojektor auf einem Holzpodest steht einer auf der Seite liegenden Pyramide aus Holzlatten, zwischen denen transparente PVC-Folie gespannt ist, gegenüber. Der Projektor wirft ein Bild in das Innere der Konstruktion. Ihre Länge entspricht dem Abstand zum "Bildwerfer". Es scheint, daß der pyramidenförmige Lichtstrahl in der Holzkonstruktion nachgebildet worden ist.

Vom üblichen Standort hinter dem Projektor sieht man nur das angestrahlte Gerüst. Blickt man von der Seite, so kann man verzerrte Versatzstücke einer Straßenszene erkennen: Hier Dächer von Häusern, dort parkende Autos. Der frontale Blick auf die Spitze der Pyramide zeigt aus einiger Distanz eine Besonderheit: Was zuvor noch vier einzelne, in den Raum führende Teilflächen gewesen sind, fügt sich nun zu einem flächigen Gesamtbild. Beim direkten Blick in den Lichtstrahl erscheint also paradoxerweise die komplette Straßenszene.

Mauck gelingt hier eine ungewöhnliche Kombination: Die Diaprojektion wird in einer Skulptur aufgefangen und verzerrt. Nur von einem bestimmten Standort aus setzt sich das Bild wieder zu einer flächigen Impression zusammen. Betrachtet man die Form des Gerüstes, so fühlt man sich an die sogenannte Sehpyramide erinnert, die eine klassische Vorstellung vom Sehen veranschaulicht. Diese Sehpyramide stellt eine Hilfskonstruktion zur Illusion einer Tiefenräumlichkeit in der Fläche dar, wie sie Albrecht Dürer in seinem Holzschnitt Zeichner mit dem liegenden Weib illustriert.

Für eine perfekte Raumillusion ist ein fixer Idealstandort des Betrachters Bedingung. Geringe Abweichungen von diesem Standort werden weitestgehend "intuitiv kompensiert" (Albert Einstein), so daß man immer noch Raum und nicht Fläche sieht. Mauck dagegen zwingt den Beschauer, einen festen Standort aufzusuchen, um das Diamotiv als Ganzes erfassen zu können. Durch die Zuspitzung der Verortung spielt Mauck auf ein rationales Verhältnis von Bild und Betrachter an, wie es seit der Neuzeit geläufig ist. Seine Arbeit Projektion Kegel vereint zwei Traditionen eines "versachlichten" Bildbegriffs: In der einfachen pyramidalen Holzkonstruktion ist das Erbe der Zentralperspektive bewahrt. Das Industrieprodukt "Diaprojektor" verweist auf die chemischen und indexikalischen Verfahren der Fotografie in der Moderne. Am Beginn eines neuen Zeitalters der Virtualität wirft Mauck einen nostalgischen Blick zurück auf diese zwei gewichtigen Kapitel unserer Geschichte des Sehens.

Die Zentralperspektive ist ein Leitmotiv in den Arbeiten Maucks, wie sie auch in dem Relief Häuserzeile sichtbar wird. Der Künstler hat eine perspektivische Zeichnung einer Häuserflucht angefertigt, und diese anschließend in Holz übertragen. Die zweidimensionalen Schablonen wurden auseinandergesägt und in den Raum geklappt, so daß ein flaches Relief entstanden ist. Durch diese Übertragung ist die Perspektivkonstruktion der Zeichnung gebrochen: Aus der frontalen Sicht stellt sich keine Tiefenillusion ein. Seitlich betrachtet vermittelt die Arbeit den Eindruck großer Plastizität und illusionierter Räumlichkeit. Nur das in der zentralperspektivischen Sehweise geschulte Auge kann sich auf die Suche nach dieser Illusion begeben.

Illusion ist auch das Thema der Arbeit Küchenzeile. Ein Diaprojektor auf einem Podest wirft sein Licht auf eine schlichte Konstruktion aus zwei Sperrholzplatten auf Stützen, die im rechten Winkel vor einer Wand stehen. Auf die Platten wird in Originalgröße der Ausschnitt einer Küchenzeile projiziert.

In der Küchenzeile vermag die Skulptur die Verkürzungen und Unschärfen des Dias zu korrigieren. Die Projektion des Dias "bemalt" ihrerseits die Oberflächen der Sperrholzplatten und gestaltet ein Abbild, das mit bildhauerischen Mitteln nicht zu erreichen ist. Die Arbeit entwirft somit eine neue Form von Abbildlichkeit, in der die Planimetrie des Fotografischen verräumlicht und die Dreidimensionalität der Skulptur um die indexikalische Qualität der Fotografie erweitert wird. Diese wie auch alle anderen Arbeiten Maucks erscheinen wie Chiffren für unsere konditionierten Sehgewohnheiten.

Mauck entlarvt mit seinen Arbeiten die vermeintliche Unschuld des Auges. Sie legen die aktive, konstruktive Seite des Sehvorganges bloß. Unsere Wahrnehmung ist in immer dichter werdenden Netzen medial vermittelter Wirklichkeit gefangen. Künstliche Wirklichkeit ist lange kein Privileg der bildenden Künste mehr. Diese sind gezwungen, ihre Funktion innerhalb unserer visuellen Kultur immer wieder neu zu bestimmen. Dabei können sie keine Innovationen mehr leisten. Andernorts brechen diese sich Bahn, etwa in Silicon Valley oder in den militärischen High-Tech-Laboratorien. Die Kunst kann zur Klärung der Bedingungen beitragen, die diesen neuen Formen der Wirklichkeitserzeugung diktieren. Ihre Aufgabe kann darin liegen, ein kritisches Bewußtsein für diese kulturellen Konditionierungen zu schaffen.
TZR Galerie Kai Brückner